Das kleine Büchlein - Ferdinande von Brackel

Der Vater füllt mit Golde
Dem Sohne reich den Schrein,
Die Mutter gibt ihm stille
Ein Büchlein winzig klein.

„Ist dir so viel von Nöten,
Daß irdisch Glück dein Teil:
Dies Eine sollst du nehmen
Zu deiner Seele Heil.

So klein, so leicht, so wenig,
Daß nie es dir Beschwer,
Doch wenn du Alles lässest,
Dies lasse nimmermehr.“

Der Sohn hat es genommen,
Zog seinen Lebenspfad;
Es ruht an seinem Herzen
Das Büchlein, früh und spat.

So ward's hinausgetragen
Zu manchem frischen Strauß,
In weiter, fremder Ferne
Ein Stück vom Heimathaus.

Doch wenn auf falschem Pfade
Sein Fuß mal irrend ging:
Wie ward dann schwere Bürde
Das kleine, leichte Ding!

Und als auf hohen Wellen
Sein Lebensschifflein trieb,
Da war's der einz'ge Kompaß,
Der ihm noch übrig blieb.

Denn warf in wilden Stürmen
Er viel wohl über Bord,
Das Büchlein hieß ihn halten
Der Mutter mahnend Wort.

Und als er müd' gerungen,
Zerschellt so mancher Traum:
Wie barg so viel des Trostes
Es da im engen Raum.

Den Weg zum rechten Hafen
Wies es getreulich an,
Und sang zu Ruh und Frieden
Den ernsten müden Mann.

Und in der Stunden letzter
Da ward es ihm noch klar:
Zum Himmel hoch die Stufe
Das kleine Büchlein war.