Eiche und Linde - Edmund Dorer
In dem Hauch der lauen Lüfte
Wieget sich die sanfte Linde;
Ihrer Blüten süße Düfte
Streut sie in das Spiel der Winde.
In dem Blumengrün der Matten
Schmückt sie sich mit holder Milde;
Liebe ruht in ihrem Schatten
Auf dem blühenden Gefilde.
Und die Flöte lockt zu Tänzen
Zu dem Baum der Liebeswonne;
Ihre hellen Blätter glänzen
In dem Abendstrahl der Sonne.
Mürrisch sieht die stolze Eiche
Linde mit den Lüften scherzen;
Daß sie nicht der Schwester gleiche,
Rühmt sie sich in ihrem Herzen.
Mögen auch die Wetter dröhnen,
Nie wird sie in Furcht sich neigen:
Nie mit sanften, milden Tönen
Spielt die Luft in ihren Zweigen.
Zu dem heitern Tale nieder
Schaut sie stolz vom Bergesgipfel;
Wie geheimnisvolle, ernste
Sagen wehen ihre Wipfel.
Einsam will die Eiche stehen;
Immer wird ihr Sinn sie scheiden
Von der Linde. Nie verstehen,
Nie versöhnen sich die Beiden.