Das undankbare Fischlein - Emilie Pflücker

(Eine Fabel)

Über einem Teiche kreiste
Beutesuchend einst ein Aar,
Weil er Fische gern verspeiste
Und auch just recht hungrig war.

Bald in seinen Fängen hatte
Er ein zierlich Fischelein,
Das die Flut, die spiegelglatte,
Froh durchschnellt im Sonnenschein.

Fischlein flehte für sein Leben,
Sprach: "Ich bin ja noch so klein.
Willst du mir die Freiheit geben,
Werd' ich stets dir dankbar sein."

Und der Adler schwebt hernieder,
Gnade übt sein Edelsinn;
Lustig schwimmt das Fischlein wieder
In dem Teiche her und hin.

Schwimmt zum Ufer, wo zu sehen
Gerade war ein Jägersmann,
Und verriet ihm, was geschehen,
Klagte hart den Adler an.

In die Lüfte, piff, paff, knallte
Rasch ein Schuß, der Adler sank
Sterbend in die Flut, die kalte; -
"Fischlein, das war schlechter Dank!"

Fischlein lachte; doch ein Reiher
Brachte Strafe ihm und Tod,
Kam durch's Schilf daher zum Weiher
Und verschlang's zum Abendbrot.