Wär' ich wie du! - Alma Thiele
Hört ihr den Harfner singen,
Den alten dort am Tor?
Die tiefen Töne dringen
Ergreifend an das Ohr.
Er singt von Jugendträumen,
Vom lieben Vaterhaus,
Wie ihn der Wogen Schäumen
Ins Leben trieb hinaus.
Wie kühn sein Arm geschwungen
Voll Mut das Schwert im Streit,
Und wie sein Lied erklungen
Voll Jugendseligkeit.
Er singt, und trüb verdunkelt
Die Träne ihm den Blick;
Kein Stern hat ihm gefunkelt
Im traurigen Geschick.
Die Blüten sind verdorben
Am jungen Lebensbaum;
Sein Lieben ist erstorben;
Es war ein kurzer Traum.
Doch ist so arm kein Wesen,
Daß jede Freude schied;
Ihr könnt's im Aug' ihm lesen,
Sein Trost ist ihm sein Lied.
Der weichen Töne Wogen
Lauscht unterm Blütenbaum
Im hohen Fensterbogen
Ein Knabe wie im Traum.
Das Lied, es klingt berückend -
Die Harfe rauschet drein;
Der Knabe träumt: "Entzückend,
Ein Sänger auch zu sein!"
Er wirft viel junge Blüten
Dem greisen Sänger zu:
"Dich möge Gott behüten!
O, säng' ich einst wie du!"
Der Alte schaut mit Sinnen
Dem schönen Knaben zu:
"So froh war mein Beginnen;
O, wär' ich noch wie du!"
