Die Jungfrau am See - Kathinka Zitz-Halein

Die Jungfrau saß am Felsen
Und blickt' zur tiefen See;
Sie sang in Trauertönen:
„O wehe mir, o weh!

Du falsche falsche Nixe
Gib den Geliebten mir;
Zogst ihn in deine Wogen
Und hältst ihn nun bei dir.

Du wähnst mir zu vergelten
Mit deines Reiches Tand.
Wirfst Bernstein und Korallen
Her in des Ufers Sand.

Behalte deine Gaben,
Ich fordre ja nichts mehr;
Die Welt ist eine Wüste,
Und ach! das Herz so leer.

Mich freut kein neues Mieder,
Mich lockt nicht Sang und Tanz,
Mich zieren keine Bänder,
Mich schmückt kein Maienkranz.

Das Haar hängt schmucklos nieder,
Erbleicht ist das Gesicht,
Und trüb von vielen Tränen
Ist meiner Augen Licht.

Nicht pfleg' ich mehr der Myrte
Zum Kränzchen für die Braut,
Mich sollen Lilien schmücken,
Wenn man dem Tod mich traut.

Du nahmst mir den Geliebten,
So nimm auch mich dazu,
In deinen wilden Wogen
Wird mir ersehnte Ruh.“

Sie sprach's und stürzt' vom Felsen
Sich nieder in die See;
Da tönt es aus den Wellen:
„O wehe mir, o weh!“